10. Kapitel

 

Lea streckte und räkelte sich in ihrem warmen Bett. Seltsamerweise fühlte sie sich wie zerschlagen. Fremde Laute drangen an ihr Ohr ... ferne Schritte, Stimmen ... ein Staubsauger? Nein, sie wollte die Augen jetzt noch nicht aufmachen. Sie war noch gar nicht richtig wach. Und sie wollte auch gar nicht wach werden.

Aber das beharrliche Läuten eines Telefons riss sie schließlich aus ihrem herrlichen Dämmerzustand. Mühsam schlug sie die Lider auf und schaute sich um.

»Wa ...?«

Lea setzte sich abrupt auf und versuchte, den Blick zu fokussieren. Es dauerte einen Moment, bis das Zimmer aufhörte sich zu drehen. Ein fremdes Zimmer, nicht ihr eigenes. Ihr Blick huschte erschrocken über das wuchtige Himmelbett mit seinen vier Holzpfosten, über den dicken Teppich, die Kommode und die fremden Lampen. Sie schluckte, dann sah sie vorsichtig an sich herab.

Erleichterung durchströmte sie, als sie erkannte, dass sie ihr schwarzes Kleid noch anhatte.

Ermutigt durch diese gute Nachricht schwang sie die Beine aus dem Bett und ging auf der Suche nach dem Badezimmer ein paar Schritte durch den Raum. Da fiel ihr Blick auf einen Zettel, der an einer Vase lehnte. Darauf stand in eleganter Schrift ihr Name.

Sie nahm den Brief in die Hand und las:

Lea,

ich konnte dich gestern Abend leider nicht mehr wecken, um zu fragen, wo du wohnst. Deshalb habe ich dich mit zu mir genommen. Ich muss leider kurz weg und bin deshalb wahrscheinlich nicht da, wenn du aufwachst, um dir alles zu erklären. Du kannst duschen, wenn du willst.

Frühstück steht auf dem Tisch.

Adam.

Adam. Jetzt fiel ihr alles wieder ein, und Lea schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Mein Gott, was hatte sie getan! Dieser Tanz. All die Leute. Tequilas. Was war nur in sie gefahren? Wie hatte sie nur so dumm sein können, ihre Verlegenheit durch Alkohol zu betäuben? Und Adam hatte sie sogar tragen müssen ... ach, du großer Gott.

Sie holte tief Luft und öffnete die Schlafzimmertüre.

Langsam schaute sie sich um, inspizierte die Suite. Nein, Gott sei Dank, sie war tatsächlich allein. Ein Schlafzimmer, ein begehbarer Kleiderschrank, ein Esszimmer und ein Wohnzimmer. Diese Hotelsuite war größer als ihre eigene kleine Bleibe. Und man hatte einen fantastischen Blick auf die Burg. Sie blieb vor dem Esstisch stehen, der mit einer weißen Tischdecke gedeckt war. Darauf standen Toast, Tee, Marmeladen und ein Dutzend anderer Sachen zum Frühstücken. Wie war sie bloß hier gelandet? Und warum war sie so nervös?

Zur Hölle, sie wusste genau, warum sie so nervös war.

Wegen Adam. Ihm nach ihrem gestrigen Ausrutscher in nüchternem Zustand gegenübertreten zu müssen, überstieg ihre Kräfte. Der Mann war auch so schon beunruhigend genug. Am besten sie machte sich so schnell wie möglich aus dem Staub, bevor er wieder auftauchte.

Aber zuerst mal musste sie ihren Brummschädel unter einen Duschstrahl halten, ohne das ging's einfach nicht. In der Hoffnung, sich danach zumindest nicht mehr ganz so schlecht zu fühlen, verschwand Lea im Badezimmer.

Ein Gutes hatte der gestrige Abend zumindest gehabt: Isabella war ins Licht getreten. Und das war schließlich der Zweck der ganzen Vorstellung gewesen.

Eine Viertelstunde später kam Lea, erfrischt und sogar ein wenig hungrig, wieder aus dem Bad. Es machte ihr noch nicht einmal sonderlich viel aus, dass sie das schwarze Kleid noch mal anziehen musste. Sie hatte im Bad ein kleines Hotel-Nähzeug gefunden und den Schlitz mit ein paar Sicherheitsnadeln ein wenig züchtiger gemacht. So gerüstet, nahm sie am Frühstückstisch Platz und griff zu einer Scheibe Toast, die sie mit Erdbeermarmelade bestrich. Dann suchte sie sich unter den Teebeuteln einen Kamillentee aus, holte ihn aus dem Papiertäschchen, hängte den Beutel in eine Porzellantasse und übergoss das Ganze mit heißem Wasser.

Während sich ihr Tee langsam gelb färbte, machte Lea Pläne. Als Erstes würde sie nach Hause gehen und sich umziehen. Dann würde sie Liam auf dem Friedhof einen Besuch abstatten, mit Mr. Thomson Kaffee trinken und dann zum Geister-Meeting in die National Gallery gehen.

Und dann raus nach Bruntsfield zum Fotografieren. Ach ja, und Marco anrufen, natürlich.

Da ging auf einmal die Haustüre auf, und jemand betrat die Diele. Kurz darauf tauchten Adams breite Schultern in der Esszimmertür auf. Er sah einfach verboten gut aus: Designerjeans, Lederjacke und ein schlichter schwarzer Pulli. Er hatte die Ärmel zurückgeschoben, und sie konnte die hervortretenden Adern auf seinem Unterarm sehen.

Auf seiner Stirne zitterte ein Regentropfen, der ihm aus dem dichten schwarzen Haar gefallen war. Sie starrte ihn mit offenem Mund an, sie konnte einfach nicht anders.

»Hi.« Lächelnd betrat er das Zimmer, stellte eine Einkaufstüte ab und warf seine Lederjacke auf einen Sessel.

»Na, gut geschlafen?«

Lea errötete. Obwohl, wie sie nach der gestrigen Blamage überhaupt noch rot werden konnte, war ihr ein Rätsel.

»Ja. Aber Sie hätten mir wirklich nicht Ihr Bett überlassen müssen.«

Er hob eine Braue. »Soll ich das als Dankeschön auffassen?«

Sie wurde noch röter. »Entschuldigen Sie, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich bin sonst nie so unhöflich. Danke, es war sehr nett von Ihnen, dass ich hier übernachten durfte. Und getragen haben Sie mich auch noch ...?«

»Ach, das war mir ein Vergnügen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann nahm er die Tüte und brachte sie ihr an den Tisch. »Da. Ich dachte, Sie könnten vielleicht noch ein Kleid gebrauchen.«

»Ein Kleid?« Verblüfft nahm sie ihm die schwarze Tüte ab. Armani. Er hatte bei Armani für sie eingekauft? »Für mich?«

Er zuckte lässig mit den Schultern. »Ich war sowieso unterwegs - die Frau meines Freundes wollte Weihnachtseinkäufe machen, und er selbst konnte sie nicht begleiten. Da bin ich eingesprungen.«

»Weihnachtseinkäufe? Aber es ist ja noch nicht mal Halloween.«

»Wenn Victoria Weihnachtseinkäufe machen will, dann macht sie Weihnachtseinkäufe. Wehe dem Mann, der sich dem Willen einer Frau widersetzt.«

Lea lachte, als sie den ernsten Ausdruck in seiner Miene sah. »Nun, der kluge Mann wird sich hüten.«

Und Lord Murray war ein kluger Mann, so viel wusste sie bereits.

»Aber ich kann das nicht annehmen, wissen Sie.«

»Wieso denn nicht? Sie haben es ja noch nicht mal angesehen.« Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.

»Ich kann keine Geschenke von Ihnen annehmen. Wir kennen uns ja kaum.«

Sie hielt ihm die Tüte hin, aber er machte keine Anstalten sie zu nehmen. Stattdessen musterte er die Teebeutel.

Er runzelte die Stirn, als er sah, für welchen sie sich entschieden hatte.

»Hätte Sie nicht für den Kamillentee-Typ gehalten.«

Verwirrt schaute sie auf ihren Tee, dann zuckte sie mit den Schultern. »Ich bin überhaupt kein Teetrinker, aber heute ... na ja, Kamillentee soll ja beruhigen.«

»Hmm.« Weiter sagte er nichts, doch da begann erneut das Telefon in der Diele zu klingeln. Lea fiel ein, dass es vorher schon mal geklingelt hatte. Adam erhob sich, um ranzugehen.

»Es hat zuvor auch schon mal geklingelt«, rief sie ihm nach.

»Probieren Sie das Kleid an«, befahl er und verschwand im Wohnzimmer.

Das Kleid anprobieren. Also wirklich. Aber nach all dem Seltsamen in der letzten Zeit kam ihr das gar nicht mehr so undenkbar vor. Sie sah an ihrem zerrissenen, notdürftig geflickten Kleid herunter. Es war definitiv besser, sich auf die seltsame Situation weiter einzulassen; zumindest würde ihr das einen reichlich uneleganten Abgang aus einem der vornehmsten Hotels Edinburghs erlauben. Und sie konnte Adam das Geld ja wiedergeben. Neugierig darauf, was er wohl gewählt hatte, griff sich Lea die Tüte und verschwand im Schlafzimmer.

Adam legte auf, nachdem er Victoria versichert hatte, dass er gern zum Abendessen kommen würde. Er hatte sich kaum wieder an den Esstisch gesetzt, als Lea aus dem Schlafzimmer kam.

Das dunkelrote Kaschmirkleid stand ihr fabelhaft. Der U-Boot-Kragen brachte ihren langen, eleganten Hals besonders vorteilhaft zur Geltung. Und der Wollstoff schmiegte sich an ihren schlanken Körper, betonte ihre sanften Rundungen. Es reichte ihr bis knapp zum Knie, was ihre langen Beine noch länger wirken ließ.

Adam schluckte. Er war zum Opfer seines eigenen guten Geschmacks geworden. Warum hatte er gerade dieses Kleid für sie ausgesucht?

»Es steht Ihnen sehr gut«, sagte er nach einer Pause mit etwas heiserer Stimme.

Sie trat an den Tisch und setzte sich wieder an ihren Platz.

»Ich finde es umwerfend«, erwiderte sie. Doch sie wirkte so unbehaglich, dass Adam aus seiner Trance erwachte.

»Stimmt was nicht?«

Sie schüttelte den Kopf, und sein Blick huschte unwillkürlich zu ihrem schlanken Hals und zu ihrer deutlich pulsierenden Halsschlagader. Seine Nasenflügel bebten.

»Nein, es ...« Sie strich mit den Fingerspitzen über das Kleid. »Es überrascht mich nur, dass Sie gerade so eins ausgesucht haben.«

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Was hätten Sie denn gedacht, was ich aussuchen würde?«

»Na ja, ich weiß nicht, aber bestimmt nicht das hier.«

»Was denn? Was Hässlicheres?«

Sie lachte. Sie hatte ein schönes Lachen. Viele verschiedene Tonlagen, ebenso komplex wie die ganze Person.

»Na ja, vielleicht was Auffälligeres«, gestand sie.

Adam wusste nicht, ob er beleidigt sein sollte oder nicht.

»Sie haben mir also keinen Geschmack zugetraut, was?«

Sie musste wieder einen Moment über ihre Antwort nachdenken, was ihn zum Lachen brachte.

»Nein, das ist es nicht. Ich dachte eher, dass Sie mir nach dem gestrigen Abend nicht sehr viel Geschmack zutrauen.«

Aha, sie schämte sich. Aber das brauchte sie nicht, er hatte ihre Vorstellung sehr ... stimulierend gefunden. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, entgegnete er lächelnd.

Sie zögerte, dann musste sie ebenfalls lachen. »Das ist einfach lächerlich!«

»Was denn?«

»Das alles.« Sie machte eine ausholende Armbewegung.

»Wir kennen uns doch gar nicht. Wie kommt es, dass ich hier mit Ihnen in Ihrem Hotelzimmer beim Frühstück sitze?«

Adam konnte nicht umhin ihr zuzustimmen, wie seltsam das alles war. Gewöhnlich saß er nur dann mit einer Fremden am Frühstückstisch, wenn eine gemeinsame Nacht im Bett vorausgegangen war.

»Und trotzdem sitzen Sie hier.«

Lea griff achselzuckend nach einer zweiten Scheibe Toast. »Glauben Sie mir, ich wollte längst weg sein, bevor Sie wieder auftauchen, aber das ist mir ja nun leider nicht gelungen. Na ja, was das betrifft, so läuft mein Leben in letzter Zeit ohnehin nie so recht nach meinen Plänen.«

»Nun, ich würde Ihnen ja mein Beileid aussprechen, aber ich bin eigentlich ganz froh, dass Sie noch hier sind.«

Adam griff nach der Kaffeekanne und schenkte sich eine Tasse ein. Nicht, dass er Lust auf das schwarze Gebräu hatte, er tat es eher, um Lea Gesellschaft zu leisten. Und während er sie betrachtete, wurde ihm klar, wie sehr es stimmte: Er war froh, dass sie da war. Sehr froh sogar. Er freute sich, mit ihr zusammen zu sein, egal, was sie machte oder wer sie gerade vorgab zu sein. Madame Foulard oder eine verführerische Tangotänzerin. Oder ob sie einfach hier mit ihm am Tisch saß und Marmeladentoast aß, während andere längst rot vor Scham die Flucht ergriffen hätten. Sie überraschte ihn ständig, seine geheimnisvolle Schöne aus Istanbul.

»Aber Sie haben recht«, sagte sie kauend. »Marco wird sich kaputtlachen, wenn ich es ihm später erzähle.«

Marco. Den Italiener hatte er ja ganz vergessen. Adams Laune sackte in den Keller. »Ach ja. Aber ich bezweifle, dass Ihr Liebhaber sich kaputtlachen wird, wenn Sie ihm erzählen, dass Sie die Nacht im Hotelzimmer eines anderen verbracht haben.«

»Mein Liebhaber?« Lea blinzelte verwirrt, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf. »Sehen Sie? Ich hab's doch gesagt. Sie wissen gar nichts über mich.«

Dann war Marco also nicht ihr Liebhaber? Adam grinste. Muskeln, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass sie sich verspannt hatten, lockerten sich wieder. Seine gute Laune kam aus dem Keller hervorgehüpft. »Sie täuschen sich, ich weiß mehr über Sie, als Sie glauben.«

»Ach ja? Das müssen Sie mir schon beweisen«, sagte Lea herausfordernd.

Einer Herausforderung hatte Adam noch nie widerstehen können.

Er musterte sie unverhohlen von Kopf bis Fuß, nahm jedes noch so kleine Detail in sich auf: die fast nicht mehr sichtbare Falte in ihrer linken Wange, die silbernen Ohrstecker mit dem Peace-Zeichen, die verräterischen kleinen Löcher, die sich darüber in ihren Ohrläppchen abzeichneten, der französische Haarschnitt, die kurzen, dunkelrot lackierten Fingernägel ...

»Sie sind nicht verheiratet.«

Sie hob eine Augenbraue. »Das ist nicht schwer zu erraten.«

»Sie stammen aus den New-England-Staaten der USA, wohnen aber schon seit ein paar Jahren hier. Nicht lange genug, um Ihren Akzent ganz abzulegen, aber lange genug, um sich die hiesige Ausdrucksweise anzueignen.

Sechs Jahre?«

Sie runzelte die Stirn. »Sieben. Aber meinen amerikanischen Akzent hätte jeder raushören können.«

Adam lachte. »Ich bin noch nicht fertig! Sie schlafen auf der linken Seite, Sie waren in Ihrer Jugend ein Hippie-Mädchen, Sie haben eine Zeit in Argentinien verbracht.

Und natürlich in Istanbul.«

Sie schaute ihn mit großen Augen an. Offenbar war ihr nicht klar gewesen, dass er sich noch an jene kurze Begegnung vor so vielen Jahren erinnerte.

»Sie sind nicht nur eine sehr sinnliche und gleichzeitig praktische Frau, sondern auch eine Künstlerin«, fuhr er fort. Er nahm ihre Hand und begutachtete ihre kurzen, makellos lackierten Fingernägel. »Sie arbeiten mit Ihren Händen, und Sie lieben kräftige Farben. Und Sie verkleiden sich gern als alte Hexe und halten Seancen ab.«

Lea entzog ihm ihre Finger und wich seinem Blick aus.

»Dann gehören Sie jetzt zu den drei Menschen, die am meisten über mich wissen«, sagte sie leise. Ihre Miene war alles andere als erfreut. »Ich war schon immer der Meinung, dass, wer immer da oben über mein Schicksal entscheidet, einen verdrehten Sinn für Humor haben muss.«

Jetzt tat es Adam leid, dass er so offen gesprochen hatte. »Falls es wirklich nur so wenige Menschen gibt, die das Glück haben, Sie besser zu kennen, Lea, dann liegt das nur daran, dass Sie sie nicht an sich ranlassen. Ich verstehe, dass Sie ein sehr scheuer Mensch sind und selbst entscheiden wollen, wer Sie besser kennen lernen darf.«

Lea schaute ihm ernst in die Augen. »Jetzt sind Sie wieder so nett. Warum sind Sie bloß so nett zu mir?«

»Vielleicht bin ich einfach nur ein netter Kerl.« Aber noch während er das sagte, wusste er, dass er im Moment alles andere als ›nett‹ sein wollte.

Er wusste selbst nicht, warum er sich so sehr zu dieser Frau, die ja gar nicht seiner Spezies angehörte, hingezogen fühlte - und er wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Der beste Weg, diese Art von Besessenheit loszuwerden, war, ihr nachzugeben. Er wusste, dass sich sein Interesse verflüchtigen würde, sobald er mit ihr geschlafen hatte. So war es immer gewesen.

Adam streckte die Hand aus, um ihre Wange zu streicheln, aber sie zuckte unwillkürlich zurück. Auf ihrem Gesicht stand ein erschrockener, unsicherer Ausdruck.

Das gefiel ihm gar nicht. Er wollte nicht, dass sie Angst vor ihm hatte. Sie musste doch wissen, dass er ihr nie etwas antun könnte.

Sie muss es entscheiden, wurde ihm plötzlich klar. Er musste sie dazu bringen, dass sie von allein zu ihm kam.

»Was wirst du tun, Lea?«

»Was meinen Sie?«, flüsterte sie. Ihre Stimme klang leise, zögernd. Er hätte gelächelt, wenn er nicht so erregt gewesen wäre. Er konnte sich kaum noch beherrschen, er wollte und musste sie haben.

»Ich kann sehen, dass du mich willst. Und du hast sicher gemerkt, dass ich nicht mehr lange die Finger von dir lassen kann ... also, was wirst du tun, Lea?«

Ihre Pupillen weiteten sich. Sie holte tief Luft. Adam sah, wie sich ihre Brust hob und senkte. Er hoffte inständig, dass sie bald eine Entscheidung traf. Und dass es die richtige war. Er konnte sich nicht erinnern, dass es ihm je so schwergefallen war, sich zurückzuhalten.

»Ich will...«, begann sie.

Ihr Blick huschte zur Schlafzimmertür, dann wieder zurück zu ihm.

»Du willst...«

Er blieb ganz still, zwang sich, keinen Finger zu regen.

Er musste all seine Willenskraft aufbieten, um sie nicht zu packen und sie auf seinen Schoß zu ziehen. Er wusste, dass sie sich nicht dagegen gewehrt hätte - sie wollte ihn ja.

Aber es musste ihre Entscheidung sein.

Sie holte noch einmal tief Luft, dann schaute sie auf ihre Hände, mit denen sie ihre Teetasse umklammerte. »Ja, ich will dich. Aber du musst mir zuerst was versprechen.«

Er hätte wissen müssen, dass sie nicht einfach Ja sagen würde; alles an ihr war kompliziert. Er wartete darauf, dass sie weitersprach.

»Ich will nicht, dass wir danach Telefonnummern austauschen. Oder Tee trinken und ›Erzähl-mir-was-von-dir‹ spielen. Wir werden uns nicht mehr wiedersehen.«

Sie sagte genau das, wovon die meisten Männer träumen. Er hätte sich freuen sollen. Er hätte entzückt sein sollen. Sie war schließlich kein Vampir, und er ließ sich nie auf eine feste Beziehung mit einer Menschenfrau ein.

Trotzdem ärgerten ihn ihre Worte. Sie wollte ihn also benutzen und dann wieder wegwerfen, ja? Also gut, das Spiel konnte er auch.

Er löste ihre Finger von ihrer Tasse, streichelte ihre Handgelenke. Ihr Puls beschleunigte sich, ihre Lider waren gesenkt. Er schob seinen Stuhl zurück und zog sie hoch, küsste sie. Es war ein elektrisierender Kuss. Lea reagierte zunächst mit Zurückhaltung, dann mit wachsender Kühnheit. Hitze schoss in seine Lenden. Sie hob die Hände zu seinen Schultern, ihr Duft füllte seine Lungen. Er schlang einen Arm um ihre Taille, mit dem anderen fegte er den Esstisch leer.

Das Geschirr fiel klappernd zu Boden, der Orangensaft spritzte auf den Teppich. Sie merkten es kaum. Adam hob Lea auf die polierte Tischplatte. Seine Hände strichen über den flauschigen Wollstoff ihres neuen Kleids. Er drückte sie mit dem Rücken auf die Tischplatte.

Sie wollte eine schnelle Nummer, das hatte sie selbst gesagt. Keine langen Verführungskünste; das konnte sie haben ...

Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Lea stöhnte, während Adam sich zu ihrem Hals hinab arbeitete. Dort hielt er inne. Der Duft ihres Bluts war berauschend, ihm schwirrte der Kopf, seine Fangzähne traten hervor. Er versuchte gegen die wachsende Blutlust anzukämpfen, indem er den Ausschnitt ihres Kleids herunterzog und ihre Brüste küsste, weg von ihrem Hals und weg von der Versuchung.

Sie sollte nicht sehen, dass seine Pupillen schwarz geworden waren. Aber seine Fangzähne wurden noch länger, als er ihren schwarzen Spitzen-BH erblickte und die warme Haut unter seinen Händen fühlte. Sie hob die Hände - um ihn auf sich zu ziehen, wie er glaubte -, doch dann stieß sie ihn zurück.

»Hör auf, bitte.«

Adam wandte sein Gesicht ab und ging ein, zwei Schritte von ihr weg, um Beherrschung ringend. Seine Hände zitterten beinahe, seine Kehle war wie ausgedörrt. Er hätte sie fast gebissen, wie ihm klar wurde. Beinahe hätte er die Beherrschung verloren.

»Es tut mir leid«, flüsterte sie.

Ihre Verzweiflung drang durch den roten Schleier seiner Erregung, wirkte wie eine kalte Dusche. Er wartete noch einen Moment, um sicherzügehen, dass seine Augen wieder ihre normale Farbe angenommen hatten, dann drehte er sich zu ihr um.

Sie rutschte gerade vom Tisch herunter. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck tiefer Scham.

»Lea ...«, begann er voller Reue.

»Nein, bitte.« Sie hob die Hand. »Es war mein Fehler. Ich dachte, ich könnte es, aber ich schaffe es nicht.«

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Was war er nur für ein Trottel! Er hatte doch gesehen, dass sie Angst hatte, dass sie unsicher war. Und er war derart unbeherrscht über sie hergefallen! Hatte sie Angst vor ihm? Er kam sich wie ein Idiot vor, und tiefe Schuldgefühle wegen dem, was beinahe passiert wäre, nagten an ihm.

»Es war meine Schuld.«

»Nein, du hast nichts falsch gemacht«, widersprach sie ihm. Seufzend nahm sie ihre Handtasche vom Sofa.

»Glaub mir, ich bin die Mühe nicht wert.«

Adam wollte widersprechen, wollte ihr sagen, dass sie sich irrte. Dass sie verdammt noch mal natürlich die Mühe wert war. Aber genau deshalb rührte er sich nicht. Er war noch immer viel zu erregt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Vermutlich weil es schon eine Weile her war, seit er zuletzt eine Frau gehabt hatte. Das war die einzige Erklärung, die ihm einfiel. Er war ein Vampir. Ein Friedenshüter, ein Spezialagent. Niemand - niemand - durfte ihn so aus der Fassung bringen. Nein, er war offensichtlich nicht ganz bei sich. Es war besser, wenn sie ging.

»Nochmals danke für das Kleid. Und für das Bett zum Schlafen.« Mit einem wehmütigen Lächeln wandte Lea sich ab.

Und war verschwunden, bevor er es sich anders überlegen konnte.

Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
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